Die ILLUSTRATIVE BERLIN 07 ist die führende Ausstellung für zeitgenössische Illustration und Grafik.
Vom 31. August bis zum 16. September 2007 zeigt die Illustrative in Berlin mit über 200 Arbeiten eine Werkschau der renommiertesten Illustratoren und Grafiker. Die ILLUSTRATIVE PARIS 07, die vom 26. November bis zum 9. Dezember stattfindet, ist die französische Schwesterveranstaltung der ILLUSTRATIVE BERLIN. Sie ist ein neues dezentrales Kunstfestival in der französischen Metropole, das die Ausstellung der ILLUSTRATIVE mit zahlreichen Sonderpräsentationen verbindet.
ILLUSTRATIVE BERLIN 07 | 31. August – 16. September 2007 | Villa Elisabeth, Berlin
ILLUSTRATIVE PARIS 07 | 26. November – 9. Dezember 2007 | Espaces Comines, Paris
PARADISE LOST
Video - Installation von Philipp Geist zu Gustave Dorés Illustrationen
Der Berliner Künstler Philipp Geist zeigt auf der Illustrative eine Videokunst-Installation, in welcher er Holzstiche von Gustave Doré (1832–1883) neu interpretiert. Doré ist bekannt für seine Bibel-Illustrationen und die Bebilderung zahlreicher Werke der Weltliteratur, unter anderem Dante’s Göttliche Komödie.
Geist wählte für sein Projekt Illustrationen, die Doré im Jahre 1866 zu John Miltons epischen Gedicht „Paradise Lost“ aus dem Jahre 1666 anfertigte. Die Holzschnitte bestechen durch ihre perfekt ausgearbeiteten Lichtsituationen, die Genauigkeit, Detailtreue und dynamische Linienführung. Auf der einen Seite sind sie von Kitsch und Pathos geprägt und machen daher einen altmodischen Eindruck auf den zeitgenössischen Betrachter, auf der anderen Seite haben die Stiche durch ihre cineastische, dramatische Qualität eine geradezu moderne Anmutung. Denn neben einer nur in Ansätzen naturalistischen Abbildung, die dazu dient, den Wahrheitsgehalt der Paradiesgeschichte zu bestätigen, schien es Doré’s Hauptanliegen zu sein, die Dramatik der Ereignisse zu vermitteln und somit das Dargestellte zu erhöhen. Die Erhabenheit der biblischen Geschichte über die Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies sind geprägt von romantischen Naturdarstellungen, von einem Lichtspiel, das das Auge des Betrachters leitet, und gleichzeitig von szenischen Kompositionen, die in ihrer Ausgestaltung und Detailreichtum einen realistischen Effekt haben und an Filmsets von Monumentalfilmen erinnern.
Diese Vorwegnahme des bewegten Bildes durch die Doré-Stiche und die Spannung zwischen Realismus/Naturalismus und dramatischen Effekten thematisiert Geist in vielfältiger Weise, stellt sie heraus und gleichzeitig in Frage. Betrachtet man die Stiche von nahem, wirkt die enge Linienführung wie ein Fernsehbild, das aus Halbbildern besteht. Geist führt diese Assoziation weiter und ersetzt Teile des Bildes mit gefilmtem Material und Naturaufnahmen.
In seiner Multi-Channel-Video-Installation interpretiert Geist die Doré-Stiche aber nicht nur durch die Montage von selbst gefilmten Naturaufnahmen, die dem Bild eine realistisch-naturalistische Wirkung verleihen und somit unseren von Kino und Fernsehen geprägten Sehgewohnheiten entsprechen. Er koloriert Stiche mit kräftigen Farben und lässt Passagen in ihrer ursprünglichen schwarz-weißen Farbgebung bestehen. An anderen Stellen isoliert er Figuren und zeigt sie vor einem schwarzen Hintergrund. Die szenische, realistische Wirkung der Stiche wird gestört, indem durch die vorgenommene Reduktion der ursprüngliche Überfluss an Details der Stiche noch deutlicher gemacht wird. Die Figuren werden ausgeschnitten und eine Fokussierung auf die unmittelbare Beziehung zwischen den Figuren wird erreicht, ohne dass die Aufmerksamkeit des Betrachters durch Details abgelenkt wird. Die Protagonisten im paradiesischen Drama werden ein- und ausgeblendet, und durch langsame Fahrten über die Stiche aus ihrem Kontext und ihrer festen Platzierung gerissen. Teile eines Bildes werden überlagert. Die so erreichte Abstraktion und die Überhöhung der Kontraste und Konturen verfremden die Inhalte bisweilen so sehr, dass man sie nur noch schemenhaft und als Strukturen erkennen kann.
Das Medium „Buch“, welches im Laufe des 19. Jahrhunderts durch immer günstiger werdende Herstellungsmöglichkeiten Texte und Bilder weiten Teilen der Bevölkerung zugänglich machen konnte, wird übersetzt in eine andere, neuere Darstellungsmöglichkeit, mit der man seit dem 20. Jahrhundert ein Massenpublikum erreicht: den Bildschirm. Die Verbindung zwischen den beiden Medien wird nicht zuletzt dadurch hergestellt, dass der Künstler die kleinen Monitore in einem ungewöhnlichen Hochkant-Format gruppiert. So wird auf die Buchseiten, auf welchen die ursprünglichen Illustrationen erschienen, verwiesen, und gleichzeitig gehen die Holzstiche aus dem 19. Jahrhundert auf eine Zeitreise in das multimediale Zeitalter.
Philipp Geist thematisiert die realistische und gleichzeitig romantisch-dramatische Wirkung der Doré-Stiche und stellt eine Vielzahl von Bezügen her zwischen der analogen Kunstform der Illustration einerseits und modernen visuellen Medien wie dem Kino und dem Fernsehen andererseits.
© Viola Fissek 2007